Sexuelle Belästigung – bis zur Wohnungskündigung

Auf meine erste eigene Wohnung hatte ich mich gefreut. Hatte mit Spannung meinen neuen Wohnort erkundet, lief freudig durch die mir unbekannten Straßen. Bis ich nahezu ohne Unterbrechung sexuell belästigt wurde, Angst bekam, vor die Tür zu gehen und meine Wohnung nach nicht mal einem halben Jahr wieder kündigte.

Alles begann Mitte April dieses Jahres. Ich würde mein Elternhaus verlassen. Von meiner Heimatstadt nahe Bonn zog es mich in den Großstadtjungel. Köln ließ mein Herz höher schlagen. Zwar arbeite ich in Bonn, jedoch befindet sich mein privater Lebensmittelpunkt in Köln. Und ich richte mein Leben ja nicht nach meiner Arbeit aus, dachte ich. Außerdem ist der Weg keine Weltreise. Eine Wohnung war für Kölner Verhältnisse schnell gefunden. 40m² nur für mich und das super zentral. Auch der Mietpreis war moderat, für eine Stadt in der Wohnungsmangel hoch 1 Millionen herrscht. Mit Vorfreude, auf einen neuen Abschnitt meines Lebens, sonnte ich mich im nah gelegenen Park, bummelte durch meine Nachbarschaft und erfreute mich eines exotischen Obst- und Gemüsehändlers. Es waren die unentwegt lüsternden Blicke, die mich irgendwann stutzig werden ließen.

 

Kein Einkauf, ohne Belästigung

Bei den Blicken blieb es leider nicht. Ich konnte keine 500 Meter zum Supermarkt gehen, ohne dass mich ein Mann mit Hey Süße, Hey Schnecke oder sonst wie ansprach. Einer, der sein Glück bei mir mit Hey Schnecke versuchte, lief mir bis zum Bahnhof hinterher und drehte erst um, als ich Sicherheitsleute ansprach. Zwei andere fragten mich, mit welcher Bahn sie zu ihrem Zielort kämen. In Wahrheit hatten sie kein Interessen an der Wegbeschreibung, sondern lediglich an meinen Brüsten, auf die sie starrten während ich ihnen die Bahnlinie und das Abfahrtsgleis mitteilte. Ich sollte mitgehen, auf diese angeblich Party zu der sie wollten. Ich schaffte es, das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken, sodass ich ohne große Bedenken gehen konnte. Den Gedanken dass hier etwas ganz und gar nicht richtig lief hatte ich zu diesem Zeitpunkt schon. Die Zeit verging und ich fühlte mich immer unwohler. Ich hatte das Gefühl mich in der unmittelbaren Umgebung meines Wohnortes nicht nur nicht wohl sondern bedroht zu fühlen. Ich lief an Männern vorbei, die sich für besonders schlau hielten und irgendwelche Spielchen mit ihrer Zunge veranstalteten, während sie mich durchdringend ansahen. Mein Gedanke war dann oft: Ey, wenn du an irgendwas lecken willst, kauf dir ’n Eis! aber das sind nur Gedanken. Unausgesprochene Sätze, die kein einziges Mal den Weg über meine Lippen gefunden haben. Irgendwann war ich eine Mischung aus verängstigt und genervt. Eines morgens, es war Sonntag und ich fuhr gerade mit der Bahn zu einer Freundin, mit der ich mich zum Frühstück verabredet hatte, belästigten mich gleich vier Typen gleichzeitig. Sie waren allesamt russischer Herkunft und bedienten ein gängiges Russenklischee, in dem sie Vodka tranken und voll wie Eimer waren. Einer der Typen saß auf seinem Sitz und scannte meinen Körper regelrecht. Ein anderer war ein wenig mutiger, torkelte so nah an mich heran dass sich seine Vodkafahne in meine Nase brannte und fragte wie alt ich sei. Ich packte all meinen Mut zusammen und brüllte Was interessiert dich das? Leute in der Bahn schauten auf. Und blieben sitzen. Mr. Vodkafahne versuchte erneut mir mein Alter zu entlocken, in dem er noch näher kam und meinen Arm streichelte. Ich musste noch nicht aussteigen, entfernte mich aber. So zumindest die Theorie. Die Kerle kamen mir hinterher, quatschten irgendetwas auf Russisch, lachten dreckig und starrten mich dabei an. Als dann drei von ihnen aufstanden und sich um mich herum stellten und grinsten, fingen meine Beine an zu zittern. Ich trug eine kurze Hose und einer der Männer muss wohl gesehen haben dass meine Oberschenkel zitterten. Er schaute seine Freund und dann wieder mich an und säuselte mir ins Ohr Ohhh, das schöne Mädchen hat Angst! Er grinste. Und ich stieg aus.

 

Morgens halb 6 in Deutschland

Ich konnte, wie so oft in letzter Zeit, nicht schlafen. Um 4 Uhr stand ich also auf, machte mich in Ruhe für die Arbeit fertig, trank gefühlt drei Liter Kaffee und trat morgens gegen halb 6 vor meine Haustür. Es dämmerte schon und war wärmer als ich dachte. Ich lief in Richtung Hauptbahnhof und bannt meine Haare gerade zu einem Pferdeschwanz zusammen, als ich sie schon sah. Drei junge Männer, die von der Statur her auch locker Basketballspieler hätten sein können. Sie schauten mich an und ich wusste sofort, dass ich nicht einfach an ihnen vorbei laufen können würde. Sie stellten sich so auf dass ich an der Innenseite des Gehweges laufen musste. An meinem rechten Oberarm spürte ich die raue Steinmauer des Hauses. Alles o.k.?, fragte der eine und grinste. Alles bestens, danke!, sagte ich und wollte unbeirrt weitergehen. Stattdessen drückte mich der Größte der drei Männer gegen die Hauswand. Die Steine bohrten sich in  meinen Rücken. Während er seinen Unterarm gegen meinen Hals drückte, kam er meinem Gesicht so nah, dass sich unsere Lippen fast berührten. Ich tat nichts und starrte einfach vor mich hin. Ich weiß noch, dass ich mich dazu zwingen wollte, meinen Kopf „auszuschalten“. Die beiden anderen, die jeweils links und rechts von ihm standen, tippten ihm plötzlich auf die Schulter. Der Unterarm verschwand von meinem Hals und die Männer drehten sich um. Eine Polizeistreife kam angefahren. Ich war einen kurzen Moment verwirrt. Und dann rannte ich. Der Polizist hatte vermutlich zu wenig gesehen, um die Situation richtig einschätzen zu können. Er hielt nicht an. Und für mich fuhr das Auto zu schnell, als dass ich hätte hinterherlaufen können. Ich hätte dem Polizisten hinterherrufen können, aber in dem Moment dachte ich, wenn die Männer checken, dass ich sie „verpetze“, wer weiß, was dann passiert. Am Hauptbahnhof angekommen versuchte ich meinen Würgereiz zu unterdrücken. Ich kam keine Sekunde auf die Idee, diese Männer wegen sexueller Belästigung anzuzeigen. Die Tage danach hatte ich ein ganz komisches Gefühl. Ich war zwar verängstigt, aber hatte gleichzeitig das Gefühl, mein Gehirn würde das Geschehene verleugnen. „Das darf nicht wahr sein, dass so etwas passiert ist“. In meiner Wohnung konnte ich nahezu gar nicht mehr schlafen. Ich hatte vorher schon Schlafstörungen gehabt, aber jetzt schlief ich nur noch circa 2 bis 3 Stunden die Nacht. Ich ging nicht mehr einkaufen und erschrak vor jeder Kleinigkeit.

 

Zweifel, Wut und Kündigung

Bis ich mich dazu entschloss, vorübergehend wieder bei meiner Mutter einzuziehen. Meine Wohnung habe ich zu Ende des Jahres gekündigt. Meinem Vermieter nannte ich den wahren Grund meiner Kündigung und der reagierte zum Glück sehr verständnisvoll. Es war mir wichtig, dass er den Grund kannte, um dies bei der nächsten Vermietung zu berücksichtigen. Natürlich liegt das nicht in meiner Macht und viele Vermieter sind einfach froh, wenn sie die Wohnung schnellst möglich vermietet haben. Es wäre aber mehr als wünschenswert, wenn in dieser Wohnung nicht noch ein Mal eine junge Frau einzieht, die unter Umständen ähnliche Erfahrungen macht wie ich. Das Schlimmste war für mich, dass ich tatsächlich anfing, an mir selbst und meinem Verhalten zu zweifeln „Habe ich mich vielleicht zu aufreizend gekleidet oder auffällig verhalten?, „Bin ich in die falsche Gegend gezogen und habe das auf die leichte Schulter genommen? – die Wahrheit ist: Wie ich mich kleide, hängt von mir ab. Egal welche Art von Kleidung ich trage, ich kann vorher nicht wissen ob und wie aufreizend diese auf Männer wirkt. Und Fakt ist: Wenn ich mich luftig kleide und beispielsweise eine Hotpants trage, dann tue ich das nicht um irgendwelche Männer aufzureißen oder reizvolle Blicke zu ernten sondern (vorsichtig, Logik!), weil mir warm ist und ich mich so kleiden möchte, dass ich möglichst wenig ins Schwitzen komme! Und ich bin wütend. Wütend darüber, dass mir etliche Männer meinen neuen Lebensabschnitt versaut haben. Darüber, dass ich mein Selbstwertgefühl jetzt zusammenkratzen muss und immer noch schreckhaft bin. Ja, immer und überall kann so etwas passieren und ja, statistisch gesehen ist die Wahrscheinlichkeit in einer Großstadt sexueller Belästigung ausgesetzt zu sein, vermutlich höher als in einem Dorf. Und ja, bestimmte Ecken bzw. Gebiete in Großstädten sind bekannt für ihre unangenehmen Milieus. Aber es kann nicht sein, dass gerade junge Frauen regelrecht aus Stadtgebieten verdrängt werden, weil es „ein gefährliches Pflaster“ ist. So oder so herrscht in deutschen  Großstädten ein ernormer (bezahlbarer!) Wohnungsmangel. Wenn dann auch noch etliche Gebiete für Frauen wegfallen, weil sie sich dort nicht sicher fühlen können, wird es nahezu unmöglich eine Wohnung zu finden. Es gibt genug Leute die einem dann Ratschläge geben wie Dann zieh eben in eine WG oder Dann zieh eben woanders hin. Mit all diesen Ratschlägen macht man es nicht besser. Denn, wenn wir dem nachgeben, haben die Männer, die sexuelle Übergriffig werden, gewonnen und wir, wir verlieren nicht nur unser Selbstwertgefühl sondern vor allem unsere Selbstständigkeit und Unabhängigkeit. Denn ich möchte nicht davon abhängig sein, dass mindestens ein Mann in meiner WG wohnt, der mich unter Umständen abends nach Hause begleiten könnte. Ich möchte nicht davon abhängig sein, dass meine Mitbewohnerin jeden Abend daheim hängt, damit ich mich nicht alleine fühle. Es geht hier ums Prinzip. Ich muss frei entscheiden können, wie und wo ich wohnen möchte. Begrenzt wird diese Auswahl von vielen Faktoren, aber sexuelle Belästigung sollte definitiv nicht dazugehören.

8 Kommentare

  1. sonntagslaune

    Mir wird richtig schlecht, während ich diese Ereignisse hier so lese und mir ganz unfreiwillig auch noch genau vor meinem innerlichen Auge vorstelle. Mir ist so etwas auch einmal passiert, an meinem 3. Tag, den ich in Hamburg lebte. Ich konnte nicht mehr vom Bahnhof zur Arbeit laufen, mein Freund wollte mich jeden Tag zur Arbeit bringen. Doch ich wusste, dass mich das noch wahnsinniger machen würde. So konnte ich die Angst wieder etwas loswerden. Doch dass du so viel erleben musstest, ist schrecklich. Konntest du das denn mittlerweile verkraften?
    Liebe Grüße

    1. Hirngelaber

      Hi, vielen Dank für deine Worte! 🙂 Inzwischen habe ich das Erlebte ganz gut verarbeiten können. Ich hatte vor diesen Erlebnissen aber eine gewisse Unvorgenommenheit, gegenüber Männern, die ich noch nicht wiedergefunden habe. Das Erlebte hat meine Einstellung zu Männern leider ins negative verändert und ich gehe beiweitem nicht mehr so offen auf sie zu, wie vorher. Aber: Ich habe viele in meinem Leben, die mir zeigen, dass man mich nicht als sexuelles Objekt sieht, sondern Begierde etwas schönes sein kann und ist. Vielleicht ähnlich, wie bei deinem Freund. Das hilft ungemein! ☺

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